Nachhaltigkeit in der Bauwirtschaft ist längst mehr als nur ein Trend. Zirkuläres Bauen gewinnt zunehmend an Bedeutung, da es die Prinzipien der Wiederverwendbarkeit und Ressourcenschonung in den Mittelpunkt stellt. Building Information Modeling (BIM) spielt hierbei eine zentrale Rolle, um diese komplexen Anforderungen zu bewältigen. Wir zeigen auf, wie BIM nachhaltige Materialien und Bauweisen unterstützt, wie das Kreislauf-Prinzip integriert werden kann und welche Perspektiven der Digitale Produktpass bietet.
Nachhaltige Materialien wie recycelbare Gipsplatten oder emissionsreduzierte Baustoffe sind die Lösung, um Ressourcen effizienter zu nutzen und gleichzeitig den CO₂-Fußabdruck zu minimieren. Die BIM-Methode bietet dabei elementare Möglichkeiten mit den passenden Tools die Erfassung und Analyse solcher Materialien zu gewährleisten. Victoria Renz-Kiefel, Direktorin Systeme und Lösung sowie Geschäftsführerin der Saint-Gobain pre.formance, betont: „BIM ist das Werkzeug der Wahl, um die Auswahl und Dokumentation von recycelbaren oder wiederverwendbaren Materialien erheblich zu vereinfachen. Das ist entscheidend, denn die Komplexität der Anforderungen – von CO₂-Fußabdruck bis hin zur Recyclingfähigkeit – übersteigt traditionelle Planungsmethoden.“
Mit der Integration von Produkt- und Systemdaten in digitale Modelle können Architektinnen und Architekten frühzeitig prüfen, ob ein Baustoff nicht nur recyclingfähig, sondern auch in bestehenden Systemen wiederverwendbar ist. Ein konkretes Beispiel bietet eine Trockenbauplatte: Gips ist von Natur aus recyclingfähig, doch nur durch die Berücksichtigung des gesamten Systems – etwa ob die Trockenbauwand rückbaubar gestaltet wurde – kann eine Wiederverwendung wirklich effizient gestaltet werden. Laut Renz-Kiefel müssen „Informationen auf verschiedenen Ebenen – von der Material- bis zur Systemebene – im BIM-Modell integriert werden“. Derzeit mangelt es jedoch noch an der Verknüpfung zwischen Planungs- und Ausführungsdaten. „Wir müssen sicherstellen, dass das, was geplant wird (As-planned-Modell), auch tatsächlich verbaut wird (As-build-Modell)“, erklärt sie. Mobile Anwendungen, die eine einfache Registrierung und Überprüfung von Materialien auf der Baustelle erlauben, könnten hier Abhilfe schaffen. Dadurch lassen sich nicht nur Ressourcen schonen, sondern auch die Kosten im Lebenszyklus eines Gebäudes senken.
Ein Kreislaufprinzip für die Bauwirtschaft
Das Prinzip des Stoffkreislaufes verfolgt das Ziel, Abfall zu vermeiden. Produkte und Materialien werden von Anfang an so konzipiert, dass sie am Ende ihres Lebenszyklus wiederverwertet oder biologisch abgebaut werden können. BIM kann dabei helfen, indem es die Lebenszyklusdaten von Materialien detailliert erfasst und verfügbar macht.
„BIM kann das Ganze einfacher machen, vor allem weil das Thema Nachhaltigkeit ja ganz schnell sehr komplex werden kann.“
Victoria Renz-Kiefel
Victoria Renz-Kiefel hebt hervor, dass die Herausforderung oft in der „zerfaserten Tool-Landschaft“ liegt: „Von der CO₂-Berechnung bis zur Bauphysik nutzen wir unterschiedliche Software, was zu aufwändigen Workarounds führt. Einheitliche BIM-Prozesse müssen hier eine Basis schaffen, um die verschiedenen Daten in einem System zu konsolidieren.“ Durch die ganzheitliche Betrachtung von Baustoffen und Systemen können Planende und Herstellende die Prinzipien des zirkulären Bauens effektiv umsetzen.
Innovation für den Lebenszyklus
Der Digitale Produktpass (DPP) ist ein hilfreicher, zentraler Baustein für die Transformation der Bauwirtschaft. Er ermöglicht eine transparente Dokumentation aller wesentlichen Eigenschaften eines Baustoffs – von der Herstellung über die Nutzung bis hin zur Wiederverwendung oder Entsorgung und wird mit der neuen EU-Bauproduktenverordnung, die im Januar 2025 in Kraft getreten ist, eingeführt. Als Teil des europäischen Green Deal liegt nun ein stärkerer Fokus auf Umwelt- und Nachhaltigkeitsapsekten, Produktsicherheit sowie der Kreislaufwirtschaft in der Baubranche. Der DPP macht auf einen Blick sichtbar, wie nachhaltig verschiedene Baumaterialien sind und wo die Produkte herkommen. Zudem wird es mit der neuen Verordnung leichter, bereits verwendete Bauprodukte wieder zu verwenden und so die Umwelt und den Geldbeutel zu schonen.
Auch hier treffen wir wieder auf das elementare Thema Standardisierung. „Wir benötigen standardisierte Schnittstellen, damit Hersteller ihre Produktinformationen kontinuierlich aktualisieren können", fordert Renz-Kiefel. Ein Beispiel: Ein Putz, der heute als nicht recyclingfähig gilt, könnte durch technologische Fortschritte in 15 Jahren anders bewertet werden. Ein Unique Identifier, fest im BIM-Modell verankert, gäbe uns die Möglichkeit, die neuesten Informationen direkt aus den Herstellerdatenbanken abzurufen. Das erleichtert nicht nur die Wiederverwendung, sondern hilft auch, potenzielle Risiken – wie gesundheitsschädliche Materialien – rechtzeitig zu erkennen. „Damit schaffen wir die Grundlage für eine langfristige Nutzung und Aktualisierung von Materialdaten – eine essenzielle Voraussetzung für zirkuläres Bauen“, betont sie.
Neue Technologien und Zusammenarbeit sind die Grundbausteine
Trotz der vielen Vorteile von BIM im Zusammenhang mit zirkulärem Bauen gilt es, Herausforderungen zu meistern. Laut Renz-Kiefel müssen „Hersteller ihre Daten umfassend erfassen und bereitstellen.“ Das werde jetzt noch ein paar Jahre dauern, bis Firmen exakt wissen, wie hoch bei den einzelnen Produkten und Systemen der Wasserverbrauch, der CO₂-Fußabdruck usw. sind und diese Daten dann auch einheitlich zur Verfügung stellen können.
„BIM ist das Fundament was wir brauchen, um nachher überhaupt nachhaltig bauen zu können"
Victoria Renz-Kiefel
Zudem fehlt es häufig an einer ganzheitlichen Integration der Tools. Doch es gibt Hoffnung: „In den nächsten fünf bis zehn Jahren werden wir bedeutende Fortschritte sehen – von verbesserten Softwarelösungen bis hin zu einer stärkeren Zusammenarbeit entlang der gesamten Wertschöpfungskette.“ Auch die Forschung werde neues Wissen zu Materialien und deren Wiederverwendbarkeit generieren und bereitstellen.
Ein weiteres Hindernis ist die Ausbildung: Viele Bauschaffende verfügen nicht über das notwendige Know-how. Hier fordert Renz-Kiefel mehr Fortbildungsangebote, um zahlreiche Barrieren abzubauen und digitale Planung und Nachhaltigkeit für alle zugänglich zu machen. „BIM ist das Fundament, das wir brauchen, um nachhaltig bauen zu können“, fasst sie zusammen.
Autorin: Esther Stoll
